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Gemeinsamkeiten und Geheimnisse | Vor Plot 16 - Druckversion

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Gemeinsamkeiten und Geheimnisse | Vor Plot 16 - Devaki - 22.04.2013

Gemeinsamkeiten und Geheimnisse
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Rylai und Devaki | Wanderung | vor "Über den Fluss"


Zwei Tage waren seit ihrem Aufbruch vergangen. Die Stimmung hatte sich ein wenig getrübt, denn die wunderbaren Abenteuer auf die vor allem die jüngeren Wölfe gehofft hatten, waren ausgeblieben. Und auch potentielle Beute war noch nirgends zu sehen. Devaki war lange Zeit vorweg gelaufen, um die Richtung anzugeben. Nach der letzten Rast aber hatte er sich zurückfallen lassen, in der Hoffnung sich ein wenig an den Gesprächen des Rudels beteiligen zu können. Immerhin gehörte das irgendwie zu seinen Aufgaben als Leitrüde, aber auf einer Wanderung blieb ihm kaum Zeit um daran zu denken. Er hatte sich kurz mit Nana unterhalten und blickte sich nun nach den anderen Rudelmitgliedern um. Die meisten schienen in Gespräche verwickelt zu sein. Sein Blick fiel auf Rylai. Dubh schien gerade mit Dannsair beschäftigt und Kody? Nun, wahrscheinlich passte er auf Kainuu auf.

Rylai war es gewohnt, sich allein zu beschäftigen, und auch langwierige, relativ ereignislose Wanderungen waren für sie nichts Neues. Ungewohnt war nur, dass sie jetzt Dubh nicht mehr für sich allein hatte, und auch Kody nicht immer für sie Zeit hatte, weil er eigene Freunde und eine neue Familie gefunden hatte. Sie hatte gerade vorgehabt, ein bisschen abseits des Rudels zu streunen und vielleicht ein wenig im Gebüsch herumzustöbern, ob sie nicht irgendein kleines Tier im Winterschlaf überraschen konnte. Als sie plötzlich Devakis Blick bemerkte, stutzte sie. Sie fühlte sich ertappt, dabei war sie sich nichtmal sicher, ob das überhaupt verboten war. Überhaupt war sie mit den vielen Regeln des Rudellebens überfordert. Unsicher klappte sie ein Ohr zurück. „Ist irgendwas?“, fragte sie dann möglichst unschuldig.

Als sie ihn plötzlich anblickte, fühlte auch Deva sich ertappt. Zwar hatte auch der Schwarze nichts Verbotenes getan, aber es war ihm dennoch unangenehm, dass sie ihn dabei erwischt hatte wie er sie beobachtete. Als sie ihre Frage stellte schüttelte er daher schnell mit dem Kopf. „Nein, nichts. Ich hab mich nur ein wenig umgesehen und entdeckt, dass du allein bist.“ stellte er fest und lächelte kurz, um seine Worte zu unterstreichen. Er war versucht ein wenig näher an die junge Fähe heranzutreten, konnte aber nicht einschätzen, ob sie überhaupt Lust hatte sich mit ihm abzugeben. Immerhin kannten sie sich und Dubh schien neben Kody der einzige Wolf zu sein, den sie schätzte und respektierte. Deva hatte das Gefühl, sich die Gunst von Rylai und damit das Privileg eines unvermittelten Gesprächs erst verdienen zu müssen.

Erleichtert schnippte das Ohr wieder nach vorn. Also doch kein Tadel. „Das macht mir nichts“, versicherte sie munter. „Ich hab' auch früher oft allein gespielt.“ Zwar hatte Dubh sich immer gut um sie gekümmert, aber er war einfach nicht der Typ, der mit Welpen spielte. Meist war er eher still und sie hatte ihn belästigen müssen, um ihren Willen zu bekommen. Eine ziemlich eigenartige Beziehung, aber sie funktionierte. „Was ist mit dir? Musst du nicht... irgendwas tun?“ Was auch immer Alphas so taten.

Allein gespielt. Devaki stellte sich kurz vor, wie das ausgesehen haben mochte und hatte sofort Shila vor Augen, die Schmetterlingen und allerlei anderem Getier nachjagte. Der Rüde fragte sich, wie oft Rylai sich von Dubh hatte über die Welt und ihre Gefahren belehren lassen müssen – und ob Dannsairs Bruder, der so anders war als Dann selbst, überhaupt getadelt hatte. Er nickte, zum Zeichen, dass er verstanden hatte und legte dann kurz den Kopf schief. Deva blinzelte zweimal verständnislos, bevor er leise zu lachen begann. “Oh, ich bin mir sicher die anderen wissen auch für ein paar Minuten alleine, wie man sich geradeaus bewegt. Wenn es Probleme geben sollte, bin ich ja hier und ganz unter uns lassen sich die anderen von hinten ohnehin besser beobachten.“ Wenn man den Mob im Rücken hatte, war man abgeschnitten und es war umständlich in Erfahrung zu bringen, was hinter einem vorging. Deva hatte lieber alles im Blick.

Sie erwiderte sein Lächeln und nickte. Endlich mal etwas, das sie aus eigener Erfahrung nachvollziehen konnte. Auch sie beobachtete gerne und viel. Dubhs breiten Rücken hatte sie dabei am Liebsten vor sich, denn dann bemerkte er es nicht sofort, wenn sie stehenblieb und sich irgendetwas genauer ansah. Neugierig spähte sie an Devaki vorbei nach vorn – sie wollte wissen, wer jetzt an seiner Stelle voranging und das wohl etwa zu sagen hatte. „Und wenn du nicht da wärst, wer würde dann alles bestimmen? Dubh sagt, in einem Rudel ist alles ganz genau durchorganisiert.“ Für einen Moment verzog sich ihr Gesicht zu einer kleinen Grimasse. Sie fand den Gedanken nämlich alles andere als prickelnd und wollte lieber tun und lassen, worauf sie Lust hatte.

Die Frage war nicht dumm. Auf seiner Stirn erschien eine kleine Falte, die anzeigte, dass er darüber selbst nachgrübeln musste. Nach einigen Sekunden zuckte er jedoch nur mit den Schultern. „Das kann ich dir nicht beantworten. Laines womöglich, denke ich. Vielleicht auch Cheza oder Nasiha. Die Rangverteilung hinter mir ist nicht so ganz klar, denke ich. Weißt du, bis vor kurzem waren wir noch zwei Leitwölfe. Wenn einer ausfiel, übernahm der andere. Aber unsere Leitwölfin ist gestorben und nun... haben wir keine Nachfolgerin. Oder einen Stellvertreter. Ich glaube, sie machen alle alles, wenn man es ihnen sagt.“ Er hoffte, dass Rylai verstand, was er sagte. Aber sie machte auf ihn nicht den Eindruck, als wäre sie so erklärungsbedürftig wie Kainuu. Er wartete kurz, ob sie eine Zwischenfrage stellte und bemerkte dann zusätzlich: „Und ganz so straff ist es nicht immer. Wir haben eine gewisse Grundordnung, aber jeder ist im Endeffekt doch frei darin zu tun und zu lassen, was er mag.“

Irritiert legte sich die kleine Stirn in Falten. „Sie dürfen tun, was sie wollen, aber dann auch wieder nicht", wiederholte sie. Sie bemühte sich nicht mal, die Skepsis in ihrer Stimme zu verbergen. Für sie machte das keinen Sinn – einerseits war man frei, andererseits aber auch nicht. Dann lieber so, wie es bei ihr und Dubh gewesen war. „Also, ich würde nicht auf dich hören, wenn du mir was Dummes befiehlst“, gab sie ungeniert zu.

Wie immer fühlte er sich wie ein unfähiger Erklärwolf, wenn einer der Jungwölfe etwas nachfragte. Aber glücklicherweise hatte Rylai nicht diesen Tonfall von Unverständnis in ihrer Stimme, wie Kainuu ihn mitschwingen ließ. „Ich bin der Chef, ich befehle keine dummen Sachen.“ schmunzelte er auf ihre Bemerkung hin. “Hm, lass es mich so erklären. Jeder Wolf ist frei das zu tun, was er will. Solange er damit dem Rudel nicht schadet oder andere in Gefahr bringt. Wenn du lieber Schmetterlinge jagen gingst als mit uns auf eine große Jagd zu kommen, die ich angeordnet habe, würde das sicher Ärger geben. Oder wenn du dich bei etwas in Gefahr bringst, dass eigentlich verboten ist.“ Devaki hätte gerne das Geröllfeld im Westen des Reviers als „verbotene Zone“ angebracht. Bei Regen war es dort extrem rutschig, wie der Tod von Miu bewiesen hatte. Aber Rylai kannte das Revier kaum, daher beließ er es bei dieser Erklärung.

Ja, ja, Natürlich sagte er jetzt, dass alle seine Anweisungen Hand und Fuß hatten und deshalb befolgt werden mussten. Niemand würde etwas anderes von sich behaupten. Sie nahm sich vor, abzuwarten und im Zweifelsfall für sich selbst zu entscheiden. Was für sie gut war und was nicht, das wusste sie nun mal selbst am Besten. Auch Dubh hatte vielleicht noch ein Wörtchen mitzureden, hinter Devakis Autorität stand für sie allerdings immer noch ein Fragezeichen. Ob seine Entscheidungen gut waren oder nicht, das würde sie im Laufe der Zeit sehen. „Na gut“, sagte sie deshalb nur, um das Thema vorerst abzuschließen. „Wie ist eure Leitwölfin denn gestorben? War sie schon alt?“

Die knappe Antwort Rylais gefiel ihm gar nicht. Sie gab ihm erneut das Gefühl sich beweisen zu müssen, einem Welpen gegenüber, und das mochte er nicht. Es war schon schlimm genug, dass er sich vor Wölfen wie Arkas hatte rechtfertigen müssen. Aber diesem jungen Hüpfer, der nicht älter war als seine naiven Jungen? Deva runzelte kurz die Stirn, nickte dann aber knapp. Als sie das Thema Siyi ansprach, runzelte er erneut die Stirn. Er hatte nicht das Gefühl, dass die junge Fähe sonderlich viel Mitleid aufbringen konnte, egal, was er ihr erzählte. Also hielt er seine Antwort knapp und ehrlich. „Sie war krank.“ Für einen Moment tauchte das Bild der Fähe vor seinem geistigen Auge auf. Wie sie sich verabschiedet hatte von den Welpen, wie sie mit ihm gesprochen hatte. Und wie sie gegangen war. Er blinzelte, um die Erinnerungen zu verdrängen und warf der Fähe bei sich einen ernsten Blick zu. „Du solltest vorsichtig sein, wenn du mit den anderen Welpen darüber redest. Sie war ihre Mutter.“

Krank also. Sie nickte ernst. In der Tat hatte er nicht ganz Unrecht – es war nun nicht so, dass sie vor Mitleid förmlich zerfloss. Sie hatte Siyi ja schließlich überhaupt nicht gekannt, und auch die anderen Wölfe lernte sie gerade erst kennen. Sie wollte einfach so gut wie möglich über ihre Umwelt, und dazu gehörte jetzt auch das Rudel, Bescheid wissen. Es war also blanke Neugier, die sie zu dieser Frage veranlasst hatte. Angesichts der Warnung, die er hinterherschob, bildete sich eine Falte auf ihrer Stirn. Worüber hätten sie da schon reden können? Sie hatte ja selbst keine Mutter und keinen Vater mehr. Tatsächlich wäre sie von allein nicht mal auf die Idee gekommen, das Thema gegenüber der Jungwölfe anzuschneiden. Sie war direkt ein bisschen beleidigt, dass er sich dazu genötigt fühlte, es ihr trotzdem in aller Deutlichkeit zu sagen. Da bekam man ja beinahe das Gefühl, dass er sie für einen schlechten Umgang hielt und seinen Nachwuchs lieber von ihr ferngehalten hätte. „Keine Sorge“, sagte sie nur, aber an den angewinkelten Ohren konnte man erkennen, dass das Gespräch ihr zusehends Unbehagen bereitete. Sie würde sich sowieso die meiste Zeit bei Kody und Dubh aufhalten. Sicher war sicher.

Sie gab ihm schon wieder das Gefühl etwas Falsches gesagt zu haben. Entschuldigend legte er den Kopf ein wenig zur Seite und sah sie an. „Ich wollte dich nur vorwarnen. Es ist ein heikles Thema für die meisten von ihnen, deshalb... nun, vielleicht würde eine Erwähnung am Anfang einer Freundschaft zwischen euch im Weg stehen. Ich möchte nicht, dass ihr euch streitet. Deswegen.“ Deva fühlte sich genötigt seine Aussage zu erklären, obwohl Rylai eigentlich alt genug war das zu verstehen. Immerhin hatte sie auch keine Eltern mehr, aber vielleicht war sie zu jung gewesen, um wirklich viel Bindung zu ihrer Familie aufbauen zu können. Und womöglich war sie einfach bereits zu hart durch das Leben rangenommen worden, als dass sie den anderen gestattete selbst zu trauern. Deva richtete sich wieder auf, schaute kurz über das Rudel und suchte derweil ein anderes Thema, auf das er das Gespräch lenken konnte. Ihm gefiel die Richtung so wenig wie Rylai, nur was sollte er die junge Fähe fragen?

Sie seufzte. „Ja, ich weiß, ich hätte sowieso nichts gesagt“, versicherte sie ihm. Hätte sie wirklich nicht. Sie war vielleicht ein bisschen wild und ungestüm, aber sie war kein Arsch. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass sie noch irgendetwas sagen musste, nur was? Offenbar fiel auch Devaki nichts ein. Genau genommen war das Teil des Problems. „Wir haben überhaupt nichts gemeinsam“, sagte sie nach einer längeren Pause schließlich geknickt. Unauffällig linste sie zu Dubh. Er war vermutlich der Einzige, der verstehen konnte, was sie meinte.

Er wandte ihr den Kopf zu und blickte sie kurz schweigend an. Dann schüttelte er langsam und nachdenklich den Kopf. „Hm... nein das würde ich nicht sagen. Wir beide sind mit Kody befreundet. Und du warst lange von deinem Bruder getrennt. Siehst du meine Schwester dort vorn? Sie und ich haben uns auch erst vor kurzem wiedergefunden. Wir hatten uns zwei Jahre nicht gesehen.“ Deva wusste nicht recht, warum er das Rylai erzählte und ob es sie interessierte. Aber es war tatsächlich eine Gemeinsamkeit, die ihm spontan einfiel. Er konnte also gut nachempfinden, wie sie sich gefühlt haben musste, als sie Kody wiedergefunden hatte.

Überrascht klappten ihre Ohren nach vorn, während sie seinem Blick folgte. Das hatte sie nicht gewusst. „Findest du das nicht seltsam? Dubh und Dannsair haben sich ja auch wiedergefunden.“ Tatsächlich war es irgendwie tröstlich zu wissen, dass sie wenigstens eine winzige Gemeinsamkeit hatten, auch wenn gemeinsame Interessen oder dergleichen natürlich besser gewesen wären. Aber sie wusste ja nicht mal, welche Interessen ein normaler, erwachsener Wolf so hatte (Dubh zählte nicht) und war bereit, auch nach Strohhalmen zu greifen. „Hast du sie sehr vermisst?“, wollte sie schließlich wissen.

Erleichtert ließ er die Ohren spielen. Endlich hatte er ein Thema gefunden, dass sie zu interessieren schien und sie nicht misstrauisch machte. Ihre Frage zeigte sogar wirkliches Interesse, was ihn noch mehr freute. „Ja, das habe ich auch schon gedacht. Ich glaube, dass die Wiedervereinigung von Dannsair und Dubh sogar die Äußergewöhnlichste ist. Die beiden haben eine weite Reise hinter sich. Ich glaube keiner der beiden hätte je damit gerechnet den anderen wiederzusehen.“ Wobei Devaki sich nicht sicher war, ob Kody je daran geglaubt hatte seine Schwester wiederzusehen. Er wusste nicht, wie der junge Rüde sich nun fühlte. Deva hatte immer gedacht, dass er sich im Rudel zu Hause fühlte, dass er die anderen Welpen als seine Geschwister betrachtete. Ob Rylais Auftauchen dieses Gefühl verändert hatte? „Hm... ja ich habe oft an sie gedacht. Im Gegensatz zu dir und Kody konnten wir unsere gesamte Welpenzeit miteinander verbringen. Wir waren uns immer sehr nahe und so lange von ihr getrennt zu sein, war schwer. Aber irgendwann lernt man damit umzugehen und seinen eigenen Weg zu gehen. Es nutzt wohl wenig alten Zeiten zu sehr nachzutrauern. Man muss nach vorn sehen und das Leben nehmen, wie es kommt – und mit wem.“ Obwohl es ihm in den letzten Wochen immer schwerer gefallen war, diesen seinen eigenen Rat zu beherzigen.

“Das stimmt“, freute sie sich. „Ich hab' meine Geschwister und Papa verloren, dafür aber Dubh getroffen. Und irgendwann finde ich auch den Rest wieder.“ Wenigstens in dieser Sache waren sie sich einig - es brachte nichts, ewig Trübsal zu blasen. Dabei verpasste man einfach zu viel und sie wollte keines ihrer vielen Abenteuer missen. Die Parallele zu ihrer jetzigen Situation konnte sie dabei aber noch nicht ziehen, noch war das Rudelleben zu fremd und zu ungewohnt, als dass sie es einfach als unumstößliche Gegebenheit akzeptieren konnte. „Wie habt ihr euch denn verloren?“

Unglaublich, wie schnell ihre Stimmung umschlagen konnte. Devaki freute sich, dass er den richtigen Ton getroffen hatte und keine Missbilligung von der jungen Fähe erntete. Er zweifelte zwar daran, dass Kody und Rylai noch mehr Mitglieder ihrer Familie wiederfanden – zumal sie das Gebiet verließen, nahe dem sie sich verloren hatten. Aber er würde sich schwer hüten ihr seine Gedanken dazu zu verraten. Stattdessen konzentrierte er sich auf ihre Frage und zuckte innerlich kurz zusammen. Bis jetzt hatte ihn niemand aus dem Rudel danach gefragt und er war sich nie sicher gewesen, wie die anderen auf die Wahrheit reagieren würden. „Ich musste mein altes Rudel verlassen. Nasiha konnte nicht mit mir kommen, sie wollte bei unserer Mutter bleiben. Erst als sie starb ist sie ebenfalls gegangen und hat versucht mich zu finden.“ Das war die Wahrheit, auch wenn er entscheidende Punkte in der Geschichte ausgelassen hatte. Devaki bemühte sich allerdings, sich diesen Umstand nicht anmerken zu lassen. Stattdessen drehte er den Spieß nun um. „Undwie ist es für dich jetzt wieder einen Bruder zu haben? Hast du daran geglaubt ihn je wiederzusehen?“ Devaki kannte den welpischen Optimismus. Aber er war sich nicht sicher, ob Rylai davon viel für sich behalten hatte.

Aufmerksam spielten die großen Ohren, erleichtert darüber, dass sie vielleicht tatsächlich mehr als nur eine Gemeinsamkeit hatten. Zunächst hatte sie ja nicht so recht daran geglaubt, aber jetzt hatte sie erstmals den Eindruck zu verstehen, wie Devaki sich gefühlt hatte. Als er sie nach Kody fragte, wurde ihre Miene wieder nachdenklicher und sie machte ein konzentriertes Gesicht. „Es ist... toll“, sagte sie schließlich. „Ich hab Kody immer noch lieb. Aber er ist auch anders geworden. Ich weiß nicht... ich glaube er braucht mich nicht mehr.“ Nachdenklich legte sie den Kopf schief. Es war ihr immer noch ein bisschen peinlich, aber bei ihrer Wiederbegegnung hatte sie ihn zuerst ja gar nicht richtig erkannt. „Ich habe am Anfang jeden Tag an ihn gedacht, aber dann wurde es irgendwann weniger. Ich hab' ihn nie vergessen“, versicherte sie schnell. „Aber ich irgendwann war ich mir nicht mehr sicher, welche Farbe sein Rückenfell hat oder wie es klingt, wenn Papa lacht...“ Ein bisschen verlegen brach sie ab.

Er verstand, was sie meinte. Auch Deva hatte kaum geglaubt – kaum glauben wollen, wer da vor ihm gestanden hatte. Es war ja noch gar nicht so lange her, dass Nana wieder bei ihm war. Seit ihrer Trennung war so viel geschehen, dass er sich nur die wichtigen Dinge an ihr gemerkt hatte. „Und das ist das Wichtigste. Seit ihr euch das letzte Mal gesehen habt ist viel geschehen. Du hast viel erlebt, mit Dubh, du musstest viel lernen. Da ist die Fellfarbe nicht mehr so wichtig – oder wie sich etwas anhört. Aber solange du ihn oder deinen Papa nie vergisst und die Erinnerung an die Zeit mit ihnen nicht verlierst, ist das... in Ordnung.“ Und mehr als verständlich. „Und ich glaube, dass du Kody noch weniger brauchst als er dich. Oder täusche ich mich da?“ setzte er noch hinterher und legte den Kopf ein wenig zur Seite, um sie neugierig anzusehen.

Sie war sich nicht so sicher, ob sie das auch so sah. Für sie war alles an ihrem Papa wichtig, und trotzdem wurde er mit der Zeit immer blasser. Von dem genauen Bild, das sie einst in ihrem Kopf gehabt hatte, würde bald nur noch eine Ansammlung warmer Gefühle übrig bleiben. Es kam ihr falsch vor, aber sie konnte es nicht ändern. „Ja, vielleicht“, sagte sie stattdessen nur, denn sie wollte Devaki gerne glauben, dass es auf den Rest nicht so sehr ankam. „Aber sag es Kody nicht, ja?“ Irgendwie wollte sie nicht, dass ihr Bruder davon erfuhr. Seine nächste Frage war wieder schwer zu beantworten, denn über manche Dinge war sie sich selbst nicht so ganz im Klaren. „Ich hab' ihn nicht gebraucht, als ich allein mit Dubh unterwegs war“, gab sie zu. „Aber jetzt, wo ich ihn wieder habe, brauche ich ihn plötzlich.“

Devaki spürte den Zweifel der jungen Wölfin. Sicher hätten Namíd und Shila auch ihre Zweifel gehabt, wenn er etwas Ähnliches über ihre Mutter gesagt hätte. Aber mit der Zeit würde Rylai schon erkennen, dass gerade das Gefühl für ihren Vater viel wichtiger war als die Erinnerung an ein Lachen. „Werde ich nicht.“ versprach er und unterstrich seine Antwort mit einem feierlichen Nicken. Das würde ihr Geheimnis bleiben, bis Rylai selbst bereit war mit ihrem Bruder darüber zu sprechen. „Du brauchst ihn?“ Ihre folgende Antwort erstaunte ihn schon ein wenig, denn Rylai wirkte immer taff, kritisch und so, als ob man ihr nichts vormachen konnte. Wieso redete sie sich also ein, dass sie ihren Bruder brauchte?! „Aber an deiner Situation hat sich doch... nicht so viel geändert? Wenn du gehen wolltest, würdest du mit Dubh gehen und kämst zurecht wie vorher. Oh, du willst wahrscheinlich einfach nicht mehr gehen.“ fiel ihm dann ein und er blickte sie an, als suchte er eine Bestätigung für seine Mutmaßung.

“Danke“, sagte sie erleichtert. Sie wollte nicht, dass ihr Bruder schlecht von ihr dachte oder glaubte, sie hätte ihn beinahe vergessen. Nachdenklich blickte sie einen Moment lang auf ihre Vorderpfoten, ehe sie Devaki wieder ins Auge fasste. Sie entschloss sich, ehrlich zu sein. „Am Liebsten würde ich gemeinsam mit Kody und Dubh weiterziehen“, gab sie schließlich zu. „Aber Kody wird hier bleiben wollen, bei euch. Und ohne ihn will ich nicht gehen, ich hab' ihn doch gerade erst wiedergefunden.“ Es war auch fraglich, ob sie sich dann jemals wiederbegegnen würden, immerhin zog auch das Rudel weiter. „Und Dubh...“, sie zögerte. Irgendwie kam es ihr wie ein Verrat an ihrem einzigen Freund vor, schlecht über ihn zu sprechen. „Du hast gehört, was er gesagt hat“, sagte sie schließlich ausweichend. Er hatte sie hier absetzen und zurücklassen wollen. „Deswegen brauche ich Kody umso mehr... weil ich ohne Dubh niemanden mehr habe, und ich weiß nicht, ob er für immer bei mir bleibt.“

Er hatte eine Augenbraue leicht gehoben, als sie sagte, sie wolle Kody mitnehmen. Aber Rylai sah das gut realistisch. Kody würde nicht einfach so gehen und Kainuu im Stich lassen. Und Kainuu würde nicht gehen und ihren Vater im Stich lassen. Und er würde nicht gehen und sein Rudel im Stich lassen. Am Ende würden sie also wieder da landen, wo sie gerade waren. „Das muss aber nicht so bleiben. Dubh hat doch mal in einem Rudel gelebt. Er könnte es bestimmt wieder lernen. Und ihr beide könntet neue Freunde hier finden.“ Dazu mussten sie sicher ein paar Kompromisse eingehen. Das eigenständige Leben eines Wanderers und die damit verbundenen Freiheiten waren sicher nicht einfach aufzugeben. Aber das, was eine Gemeinschaft bieten konnte, war auch nicht zu unterschätzen.

Skeptisch betrachtete sie Devaki. „Glaubst du wirklich, dass aus uns noch zwei echte Rudelwölfe werden?“ Irgendwie konnte sie sich das nicht so recht vorstellen, vor allem nicht bei Dubh. Der Schwarze war ein Einzelgänger, wie er im Buche stand. Bei dem Gedanken, dass er zum Musterwolf werden könnte, musste sie grinsen.

Devaki schmunzelte und nickte überzeugt. Er beugte sich ein wenig zu ihr vor und raunte ihr zu: „Ich habe es geschafft, dass Dannsair begreift wie eine Rangordnung aussieht und dass es so etwas wie Verantwortung und Gemeinschaft in einem Rudel gibt. Dagegen seid ihr wahrscheinlich wirklich einfach zu integrieren.“ Er zwinkerte ihr zu und hoffte, dass diese Worte genug Zuversicht gaben. Auch wenn Rylai ja nicht wusste wie Dannsair früher gewesen war, so konnte man seinen Worten doch sehr wohl entnehmen, dass einiges an Arbeit in dem jungen Tänzer steckte.

Schon viel zutraulicher als noch am Anfang ihres Gesprächs erwiderte sie sein Lächeln. Dass Dannsair so ein anstrengender Draufgänger gewesen war, überraschte sie nicht so sehr, wie man vielleicht erwarten könnte. Schon bei ihrer ersten Begegnung war er ihr irgendwie anders vorgekommen, aber das machte ihn nur sympathischer. „Okay, ich gebe mir Mühe“, verkündete sie entschlossen. Und dann, in einer ungewohnten Anwandlung von Selbstreflexion, fügte sie noch hinzu: „Aber es wird vermutlich nicht einfach werden.“